Impressionen

Impressionen auch Aachen's schönstem Viertel

Aachens lebendigstes Viertel (sagt MERIAN)

IMG_3777Laut dem MERIAN ist das Frankenberger Viertel Aachens lebendigster Stadtteil. Warum MERIAN das so sieht könnt ihr nachstehend lesen.

„Zitatanfang“

„Ich könnte das Doppelte verdienen, wenn ich nach Frankfurt ziehen würde. Aber ich will nicht weg aus dem Viertel.“ Namentlich möchte er nicht genannt werden, sein Chef muss nicht wissen, warum er seinem hiesigen Arbeitsplatz treu bleibt. Nennen wir ihn Wolfgang. Er sitzt an einem Kneipentresen im Frankenberger Viertel. Um ihn herum die üblichen Verdächtigen, die fast zum Mobiliar gehören. Auf Wolfgangs Bemerkung reagiert keiner. Alle wissen, dass es unvernünftig ist, heutzutage einen guten Job auszuschlagen. Aber alle wissen auch, dass es bitter wäre, dafür aus dem Viertel wegziehen zu müssen.

Sie sitzen auf wackeligen Barhockern. Die Kellnerin stellt die nächste Runde Kölsch vor dem Grüppchen auf. Das Bestellen erübrigt sich. Die Gäste läuten den Feierabend ein und trinken, bis sie zahlen. Mancher begnügt sich mit einem Glas und fährt dann heim in die nächste Kleinstadt. Auch wer nicht im Viertel lebt, kann hier heimisch sein. Die vielen Kneipen im Frankenberger Viertel sind gemütlich, haben alle eher rustikalen Charme. „Schicki-micki“ funktioniert hier irgendwie nicht. Es gibt noch ein paar alte Pinten, in denen sich Rentner über Fußball streiten, ebenso eine Studentenkneipe, in der man bis um vier Uhr morgens Toasts bekommen kann.

Gaststätten, Läden, Wohnungen und Kleinbetriebe existieren Tür an Tür in diesem Dorf in der Stadt mit seiner eigenen Infrastruktur. Mal schnell zum Bäcker, Metzger oder zur Post, ein Buch kaufen, guten Wein probieren – das alles lässt sich direkt um die Ecke erledigen. Die Eisdiele am Ende der Bismarckstraße hat Kultstatus. Ateliers in stillgelegten Fabrikhallen oder alten Tante-Emma-Läden bieten Kunst, Kultur und Design. Wer sich in diesem Quartier früh genug niedergelassen hat, kann die Miete noch zahlen und zeigt seine Kunst in den Fenstern, hinter denen sie auch entsteht.

Das Herz des Frankenberger Viertels ist der Neumarkt. Das merkt man spätestens, wenn im Frühjahr die ersten Sonnenstrahlen locken und Heerscharen von Eltern mit Kindern hierher kommen, wenn Spieler den in Eigeninitiative angelegten Boule-Platz bevölkern und Besucher der umliegenden Freiluftkneipen die Gehwege. Samstags tauscht man zwischen den Marktständen Neuigkeiten und Nöte aus. Ins Schmuckatelier von Jörg Biedermann kommen die wenigsten nur zum Kaufen. Er bietet ihnen Tee und kleine Schokoladentäfelchen an, sie halten den Goldschmied kurz von der Arbeit ab und ziehen dann weiter. Der Viertelfunk funktioniert auch mittels kleiner Zettel, die in einem Schaukasten auf dem Neumarkt hängen. Seit über fünfzig Jahren steht dort ein kleines Büdchen. Früher wurden hier Zeitschriften verkauft, dann stand es lange Zeit leer. 1995 hat ein Klub wackerer Viertelbewohner das „rotte Ding“ gemietet und hergerichtet. Jetzt kann man dort vor allem eins: aufs Klo! Den Schlüssel für das „Studio 00“ hat der nächste Wirt.

Das Frankenberger Viertel liegt etwas am Rande der mittelgroßen Stadt, aber zum Zentrum kommt man gut zu Fuß. Noble Stadtvillen aus der späten Gründerzeit schmiegen sich wie die Perlen einer Kette aneinander. An der Oppenhoffallee, die seit 2008 wieder ein schmucker Grünstreifen in der Mitte zwischen den alten Bäumen ziert, stehen die wohl opulentesten Bauten mit schnörkeligen Putzfassaden, Erkern und Türmchen. Haus Nr. 74 zum Beispiel wirkt wie ein kleines Schloss – eingepfercht zwischen den ebenfalls feudal aufgemachten Nebenbauten der geschlossenen Straßenfront. Die Menschen hocken in diesem Viertel recht dicht aufeinander. Aus den Altbauten, die vor mehr als 100 Jahren für einzelne Familien gebaut wurden, sind längst in Wohneinheiten aufgeteilte Mehrfamilienhäuser geworden. Heute sind 100 Quadratmeter original Dielenboden schick.

Es zieht die Menschen mit Kind und Kegel in dieses Quartier, das noch in den siebziger Jahren an Überalterung der Bewohner und Verfall der Bausubstanz litt. Nach und nach sind die Alten verschwunden, Jüngere haben sich die heruntergekommenen Immobilien auf-poliert. Sieben bis acht Euro Kaltmiete pro Quadratmeter sind nicht selten für einen topsanierten Altbau. Investoren haben eine Menge Geld in die Hand genommen. Immer noch gibt es kleine Studentenbuden in Hinterhöfen. „Aber es ist der gehobene Mittelstand, der sich dort breitgemacht hat“, sagt Gerrit Köster, der einen Sozialentwicklungsplan für Aachen erarbeitete und die Klientel kennt.

BUNTER STILMIX: KLASSIZISMUS, RENAISSANCE, BAROCK, GOTIK UND JUGENDSTIL

Im Frankenberger Viertel wohnen etwa 5000 Menschen auf 380 000 Quadratmetern. Für die Stadtverwaltung ist es kein separat existierender und genau umrissener Stadtteil. Es gibt zwar ein Schild mit dem Namen des „Veddels“, aber das hängt im einstigen Kiosk auf dem Neumarkt. Es öffentlich anzubringen, wurde bisher nur an Kneipentheken diskutiert.

Im Jahre 1872, zur Blütezeit der Aachener Industrie, gab es sehr wohl ein genau umrissenes Gelände, das die Frankenberger Aktiengesellschaft vom Besitzer der Burg Frankenberg erwarb, um darauf Wohn-häuser für wohlhabende Bürger zu errichten. Die Aktionäre witterten ein lukratives Spekulationsobjekt in dem unbebauten Areal rund um die alte Burg. Für etwa 27 Mark pro Quadratmeter wurde das Bauland verkauft. Es war nicht billig, sich hier niederzulassen.

Die günstigsten Häuser im Frankenberger Viertel kosteten 1895 zwischen 10 000 und 20 000 Mark. Ein technischer Beamter der Stadt verdiente aber gerade mal 1800 Mark im Jahr. Nicht jeder konnte es sich leisten, hier zu bauen. Fabrikanten, Offiziere und Kom-merzienräte errichteten ihre Wohnhäuser im Stil französischer Stadtpalais. Historisierende Formen an den Fassaden galten damals als letzter Schrei. Darum finden sich dort Zitate aus Klassizismus, Renaissance, Barock und Gotik sowie Jugendstilelemente in bunter Mischung wieder.

Schon damals empfand etwa der Kunsthistoriker Karl Woermann den Stilmix als „ein Tiefstes an Stillosigkeit“. Es dauerte bis in die 1970er, dass Willy Weyres, Professor für Baugeschichte in Aachen, sich für die Erhaltung der Frankenberger Fassadenensembles einsetzte. Etliche seiner Kollegen fanden das Durcheinander zwar ungewöhnlich, aber immer noch unschön. Für solche Kritik muss heute niemand Widerspruch aus dem Viertel befürchten. Sobald irgend etwas im Frankenberger Viertel als außergewöhnlich bezeichnet wird, sind alle zufrieden. Eins nämlich wollen sie nicht sein: gewöhnlich. 2001 wurden die Frankenberger von der Aachener Zeitung mit dem „Mullefluppet-Preis“ für Humor, Schlitzohrigkeit, Hilfsbereitschaft und Liebe zu ihrer Heimatstadt ausgezeichnet.

Die Frankenberger haben die Angewohnheit, sich sehr rege auszutauschen. Hans-Dieter Jurewicz, Betreiber eines Pfeifenstudios gegenüber dem Neumarkt und Retter des Büdchens, ist Sprecher des Frankenberger Stammtisches, eines jener Klübchen, die gern neue Ideen für das Viertel aushecken. Jemand hat einen Einfall, findet Gleichgesinnte und dann legen sie los. So wurden die Frühlings- und Sommerfeste begründet, so kam es zu Patenschaften für Blumenbeete in der Oppenhoff- und Viktoria-allee. Solche Ideen drängen die „Frankenbürger“ den Stadtplanern auf.

Wenn im Viertel „bauliche Maßnahmen“ geplant sind, ist sofort eine Interessengemeinschaft zur Stelle, die sich aber nie so nennt – eher Bürgerstammtisch – und redet mit. Kaum einer mauschelt bei den Belangen der Frankenberger so viel mit wie „der Dieter, der Bürgermeister vom Neumarkt“. Er organisiert auch die Open-Air-Karnevalssitzung. „Das ist Pflicht“, sagen sie und meinen Kult. Es ist dem Engagement vieler Quartiersbewohner zu verdanken, dass die Lebensqualität im Viertel steil angestiegen ist, was mittlerweile allerdings ebenso für die Mieten gilt. Hinter den zahlreichen Interessengemeinschaften stecken auch die Anliegen vieler Geschäftsleute, die hier ansässig sind und für Einkaufsflair und Kneipenkult sorgen.

Kehren wir zurück zu dem ganz privaten Klübchen von Kneipengängern: Hubert hat das dritte Kölsch vor sich stehen und den Auftrag, für Ulla und Bernhard eine Kommode zu bauen. Der Künstler Erik Offermann hat Holger ein Gemälde verkauft. Der Trainer von Alemannia Aachen hat sich zu ihnen gesellt. Er hat mal im Viertel gewohnt, kommt aber immer wieder her. Er muss nicht über Fußball reden, keiner nervt ihn. Nur Wolfgang ist heute Abend mit seinen Gedanken woanders und geht früher nach Hause. Er muss noch einen Job in einer anderen Stadt absagen.

„FAST EIN BISSCHEN DÖRFLICH“ – KURZINTERVIEW MIT OBERBÜRGERMEISTER MARCEL PHILIPP

Oberbürgermeister Marcel Philipp ist im Frankenberger Viertel aufgewachsen. Er wohnte auch im Stadtteil Laurensberg, kam aber in die „gemütlichere alte Heimat“ zurück.

Herr Philipp, was macht den Charme des Frankenberger Viertels aus?

Marcel Philipp: Es ist die schöne Umgebung, fast ein bisschen dörflich. Wenn man aus der Haustür tritt, trifft man immer jemanden, den man kennt. Die Frankenberger sind ein sehr bunt gemischtes Völkchen: akademisch, studentisch, auch ein bisschen multikulti.

Liegt es an der Bausubstanz oder eher an den Menschen im Viertel, dass es dort so besonders schön ist?

Das Bauliche ist das Offensichtliche, das zieht die Leute an und ist der Grund, warum viele gern im Frankenberger Viertel leben möchten. Am Ende ist es aber mehr das Menschliche, das den Charme ausmacht.

Woran liegt das?

Man wohnt dicht aufeinander, hat weniger Rückzugsräume z. B. in eigenen Gärten. Man teilt das Leben mit anderen. Das muss man mögen. Es gibt viel Straßengastronomie, dadurch ist Offenheit entstanden, auch Toleranz. Das Leben im Viertel ist fast ein bisschen mediterran. Allein der Bouleplatz lädt dazu ein, mal kurz ein paar Kugeln in die Hand zu nehmen und spontan Zeit mit anderen Menschen zu verbringen.

Kommen Sie als OB noch dazu, viel Zeit im Viertel zu verbringen?

Leider kaum. Aber manchmal gehe ich samstags mit den Kindern zum Markt, und dann weiß man nie, wie lange es dauert und wann man wieder nach Hause kommt. „Zitatende“

 

 

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2 Responses

  1. Dass das Frankenberger Viertel Aachens lebendigster Stadtteil ist wird durch Eure Reaktionen auf einen anderen Artikel (Reales Networking – Ein „Danke an Familie Jurewicz ) sehr deutlich. Bis zum Zeitpunkt dieses Kommentares habt Ihr den Artikel 719 (!) mal aufgerufen und dies in nicht einmal 24 Stunden nach Veröffentlichung. ?

  1. 26. Februar 2017

    […] Die Aachener Zeitung titelte einst „Das Viertel hat einen Hauch des Südens“ und der MERIAN ehrte mit dem Titel „…lebendigstes Viertel in Aachen!„. […]

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