Impressionen

Impressionen auch Aachen's schönstem Viertel

Timothy Garton Ash freut sich auf den Aachener Karlspreis und hofft auf viele Plädoyers für Europa

Das Karlspreisdirektorium trägt dem britischen Historiker und Publizisten in Oxford den Preis an – und trifft auf einen engagierten Europäer.

Garton Ash kommt am 24. Mai nach Aachen, wird Hochschule, Dom, Katschhof und das Europa-Forum besuchen, bevor er am 25. Mai, dem Himmelfahrtstag, im Krönungssaal des Rathauses mit dem Karlspreis ausgezeichnet wird.

Vor allem seine Debatte um die Redefreiheit in der Weltgesellschaft der Vernetzten überzeugt das Direktorium, und der designierte Preisträger sagt: „Lasst uns offen mit robuster Zivilität sprechen!“

Der Ort ist mehr als angemessen, er spricht für sich. Die Besetzung auf dem Podium ist hochrangig, die Stimmung an diesem kühlen britischen Märzmorgen ausgesprochen warmherzig. Und das Thema ist klar: Es geht um die Zukunft Europas. Ganz aktuell, und damit  auch mit dem sorgenvollen Blick nach vorne.

Im European Studies Centre der ehrwürdigen Universität Oxford hat an diesem Morgen (10. März) der britische Historiker und Publizist Prof. Timothy Garton Ash dem Direktorium des Internationalen Karlspreises zu Aachen auch im persönlichen Gespräch gerne bestätigt, dass er sich auf die Karlspreisverleihung freue: „Ich bin bewegt von dieser Auszeichnung, sie ist für einen überzeugten englischen Europäer Ehre und Verpflichtung zugleich.“ Garton Ash ist ein weltweit gefragter Experte für Europäische Gegenwartsgeschichte, seine Hauptwirkungsstätte ist das St. Antony’s College der Universität Oxford.

Ein angenehmes Gespräch in Oxford

Der Direktoriumsvorsitzende, Dr. Jürgen Linden, und Aachens Oberbürgermeister Marcel Philipp wussten bei der anschließenden Pressekonferenz am Mittag sichtlich erfreut von einem angenehmen Gespräch, das der Vorbereitung der Feierlichkeiten in Aachen diente, zu berichten – mit ersten festgezurrten Fakten: So wird Timothy Garton Ash bereits zeitig am Vortag der Preisverleihung anreisen. „Ich möchte Zeit für die Begegnung mit ganz vielen Menschen in Aachen haben“, sagte Garton Ash.

So wird er am 24. Mai Gast des Europa-Forums im Alten Kurhaus sein, er wird eine Rede vor Studierenden an der RWTH halten, den Dom besuchen und sich auch beim Open-Air-Fest „Karlspreis live“ auf dem Katschhof den Aachenern und ihren europäischen Gästen zeigen.

Garton Ash analysiert messerscharf

Timothy Garton Ash, der bereits im Jahre 2013 in Aachen mit der Karlsmedaille für europäische Medien, die „Médaille Charlemagne pour les Médias Européens“, ausgezeichnet worden ist, ist ein Mann des Wortes. Er analysiert messerscharf und findet die richtigen Wege, seine Botschaften nachvollziehbar zu kommunizieren. Einen solchen Preisträger, einen Wissenschaftler, einen Intellektuellen, einen Nicht-Politiker, habe das Direktorium gesucht, sagte Vorsitzender Linden.

Garton Ash schaut genau hin, ob in seinen Vorlesungen  für seine Studenten in Oxford, Stanford und anderen renommierten Hochschulen weltweit, ob in seinen Büchern, als gefragter Redner oder auch – aktuell sehr gefragt – in den Medien europaweit. Und er sagte am Mittag selbst: „Die EU ist krank, sie steckt nicht in einer, sondern in der Krise. Bevor man zur Heilung kommt, ist die richtige Diagnose gefragt. Dazu sind wie Intellektuelle da.“

Er kennt sich qua Profession in der jüngeren Geschichte Europas aus, doch sein großes Anliegen ist Europas Zukunft. „Tatsächlich ehrt das Direktorium Timothy Garton Ash wegen  seines herausragenden wissenschaftlichen und publizistischen Werks „, sagte Direktoriumsvorsitzender Linden. „Er ist ein überzeugter und bedeutender englischer Europäer und europäischer Engländer. Für ihn zählt das Vereinigte Königreich ganz klar zur europäischen Wertegemeinschaft.“

Und angesichts der aktuellen Debatten in London und Brüssel hob Linden – während Garton Ash ein eher bitteres Läpcheln zeigte – auf den Fortgang der Brexit-Entwicklungen ab: „Bis heute leidet unser Preisträger unter diesem Ergebnis, aber er wird nicht aufgeben, für eine enge Bindung des Vereinigten Königreichs und der EU einzutreten.“

Eine pro-europäische Haltung

Für ihn selbst, so sagte Garton Ash, stellten sich für die nahe Zukunft wichtige Aufgaben, die in einem gewissen Spannungsverhältnis stünden: Nachdem sich das britische Volk für den Brexit entschieden habe, wolle er alles daransetzen, „den Schaden für dieses Land zu beschränken. Da wir in bestem Glauben vorhergesagt haben, dass der Brexit katastrophale Folgen haben werde, liegt es nun an uns, sicherzustellen, dass wir nicht Recht behalten.“ Die pro-europäische Haltung, die gerade in diesen Tagen viele Briten zur Schau stellten, mache ihn zuversichtlich, sagte er.

Oberbürgermeister Marcel Philipp beschrieb Garton Ash, den das Direktorium einstimmig im Januar gewählt hatte, als Wissenschaftler, der den europäischen Integrationsprozess nicht nach kurzfristigen oder tagespolitischen Ereignissen bewerte: „Er sieht die Krise vor dem Hintergrund komplexer Zusammenhänge und weist darauf hin, dass unsere Welt durch die digitale Revolution und Vernetzung große Umwälzungen erlebt und dabei die vertraute Ordnung überwunden wird.“

Für eine offene Debattenkultur und die Verteidigung der Wahrheit

Garton Ash, der ein kritischer Begleiter Europas ist, stellt die Frage nach dem Funktionieren der künftigen Gesellschaft, er hat deshalb am St. Antony’s College in Oxford eine inzwischen weltweit greifende Debatte über die Redefreiheit (http://freespeechdebate.com) angestoßen: Wissenschaftliche Einrichtungen und Journalisten, Nichtregierungsorganisationen, Privatpersonen und vor allem seine Studenten, kurzum, Teilnehmer aus der ganzen Welt diskutieren Konflikte, die aus der Kollision unterschiedlicher Überzeugungen entstehen.

Diese Debatte lieferte dem Forscher den Stoff für sein 2016 unter dem Titel „Redefreiheit. Prinzipien für eine vernetzte Welt“ erschienenes Werk, in dem er die liberale Idee der Rede- und Meinungsfreiheit in das 21. Jahrhundert übersetzt und zehn Grundprinzipien der Kommunikation in einer vernetzten Welt vorschlägt. Oberbürgermeister Philipp sagte: „Das ist die hochaktuelle Antwort eines großen Wissenschaftlers auf ,fake news‘ und Hasspredigten, auf Populismus und Vereinfachung; ein flammendes Plädoyer für die Freiheit des Wortes, den offenen Diskurs.“

Direktoriumsvorsitzender Linden hob hervor, dass der britische Historiker Garton Ash „den Populisten und Vereinfachern unserer Zeit die Stirn bietet und Ideen entwickelt, wie wir uns in der  globalisierten Welt verhalten sollten“. Dabei gebe er wichtige Anstöße für den Erhalt unserer Werte wie Freiheit, Frieden und Demokratie sowie Wahrhaftigkeit, Toleranz, Recht und Selbstbestimmung.

„Die Pflicht, nicht zu schnell beleidigt zu sein“

Garton Ash widmet sich im vielbeachteten Buch und Projekt der Weltgesellschaft der Vernetzten. Er spricht von einem Update der liberalen Idee von freier Rede unter neuen Bedingungen. Es gehe um freien Selbstausdruck, Wahrhaftigkeit, auch um gute Regierung durch gutes Argumentieren. Aber nicht nur als Nabelschau der Europäer, sondern mit Blick auf die ganze Welt.

Und auch zwangsläufig darum, in einer „Kosmopolis der zwangsläufig Verschiedenen“ zusammenleben zu können. Garton Ash: „Und das geht ohne die freie Rede nicht! Am Ende gelte ein Satz, den er auch als eine Kernthese der zehn Grundprinzipien von Redefreiheit aufschreibt: „Wir sprechen offen mit robuster Zivilität über alle Arten von Unterschieden zwischen Menschen.“ Auch gelte: „Wir haben die Pflicht, nicht zu schnell beleidigt zu sein!“

Linden nannte Garton Ash „jenen herausragende  Grenzgänger zwischen Geschichtswissenschaft, Journalismus und präziser politischer Analyse“, der keinesfalls allein in der Historie verbleiben würde. Für den Karlspreis biete ein Preisträger Garton Ash den Aufbruch zu neuen Debattenformaten und Darstellungsformen.

INFO KARLSPREIS:

Timothy Garton Ash wird der 59. Träger des Internationalen Karlspreises zu Aachen. Im Vorjahr wurde Papst Franziskus in Rom mit dem Preis ausgezeichnet.

Der Internationale Karlspreis zu Aachen gilt als einer der bedeutendsten europäischen Preise. Er wird seit 1950 an Personen und Institutionen verliehen, die sich um die Einigung Europas verdient gemacht haben. Zu den früheren Preisträgern gehörten unter anderem Konrad Adenauer (1954), die Europäische Kommission (1969), der spanische König Juan Carlos I. (1982), Francois Mitterand und Helmut Kohl (1988), Václav Havel (1991), Königin Beatrix der Niederlande (1996), der amerikanische Präsident Bill Clinton (2000), der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker (2006), Bundeskanzlerin Angela Merkel (2008), Jean-Claude Trichet (2011) oder Martin Schulz (2015), damals Präsident des Europäischen Parlaments. Im März 2004 erhielt Papst Johannes Paul II. einen außerordentlichen Karlspreis, der in Rom verliehen wurde.

Verliehen wird neben einer Urkunde auch eine Medaille, die auf der Vorderseite das älteste Aachener Stadtsiegel aus dem 12. Jahrhundert mit thronendem Karl dem Großen und auf der Rückseite eine Inschrift für den jeweiligen Preisträger zeigt.

Die Fotos zeigen die von Oberbürgermeister Marcel Philipp und Dr. Jürgen Linden, Vorsitzender des Karlspreisdirektoriums, angeführte Aachener Delegation bei der Begegnung mit dem designierten Karlspreisträgerr 2017, Professor Timothy Garton Ash. Die Begegnung und die Pressekonferenz fanden im European Studies Centre der Universität Oxford am 10. März statt. Fotos: Stadt Aachen/Andreas Herrmann

Info 247/2017

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