Impressionen

Impressionen auch Aachen's schönstem Viertel

Pratschjeck op Fastelovvend

„Vür sönd allemoele Öcher Jonge / Weä jett well, deä ka jo komme…“ Es sind nicht nur die Jungs, sondern alle Aachener und Aachenerinnen, die dieses Lied jedes Jahr zu Karneval mit Inbrunst schmettern. Aber nur die wenigsten wissen, wie viel Karneval tatsächlich drin steckt in dieser Hymne, nämlich – neben jugendlicher Selbstüberschätzung und allgemeiner Rauflust – die bereits seit der Franzosenzeit verbriefte Öcher Ablehnung und Verballhornung des Militärs: Die Aachener zeigten ihre Abneigung, indem sie – etwa vor der französischen Kaserne in der Elsassstraße – in Lumpenkostümen, die Uniformen nachempfunden waren, auf und ab paradierten, Schmählieder sangen und den militärischen Gruß parodierten. Die Öcher waren die ersten, die in dieser Form gegen die französische Besatzung protestierten. Doch es waren Kölner, die sich erstmals offiziell als uniformierter Karnevalsverein organisierten. 1829 zog die „Aachener Karnevals Florresei“ nach.

Solche Geschichten und noch viel mehr erzählt die Ausstellung „Pratschjeck op Fastelovvend – Karneval in Aachen“, die aus Anlass des Europäischen Weltkulturerbejahres der UNESCO vom 10. November 2018 bis zum 10. März 2019 im Centre Charlemagne – Neues Stadtmuseum Aachen zu erleben ist.

Werner Pfeil Präsident Aachener Karnevalsverein 1859 e.V., Frank Prömpeler Präsident FestAusschuss Aachener Karneval e.V., Prof. Dr. Frank Pohle Leiter der Route Charlemagne Aachen, Irit Tirtey Geschäftsführung Kulturbetrieb der Stadt Aachen, Julia Samp Kuratorin der Ausstellung, Copyright: Stadt Aachen / Thomas Langens

Als die Tanzmariechen männlich waren
Unter Einbeziehung aller Sinne und anhand vieler anschaulicher Zeugnisse führt die Ausstellung in 12 Etappen durch die Geschichte des Karnevals in Aachen und Umgebung. Im Mittelpunkt stehen der Märchenprinz – eine Aachener Besonderheit – und natürlich Prinz Karneval, der ursprünglich „Held Karneval“ hieß und mit der Etablierung des deutschen Kaiserreiches umbenannt werden musste, damit er hierarchisch garantiert unter dem Kaiser stand. Historische Prinzenkostüme sind nicht nur schön anzuschauen, sondern verweisen auch darauf, dass zumindest der organisierte Karneval von jeher eine reine Männerangelegenheit war und teils bis heute ist, auch in Aachen. Selbst die Tanzmariechen waren männlich, was erst die Nationalsozialisten änderten, weil ihnen Männer in Frauenkleidern ideologisch nicht passten. Eine Restaurantszene mit vielen edel gestalteten Eintrittsbillets, Menükarten und Liederheften erinnert daran, dass der Karneval im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch eine Sache geschlossener Gesellschaften in gediegenen Etablissements war, also: kleine bestuhlte Säle in den gehobenen Restaurants, in denen ernst aussehende Männer im schwarzen Frack und bunter Narrenkappe saßen.

Dass auch Frauen Karneval können und auch das Vereinsleben bereichern, dokumentiert die Ausstellung mit den Marktweibern, den Erkelenzer Möhnen und der KG Adler Werth, einer Stolberger Frauengruppe, die aus einer Frauenfußballmannschaft der 1960-er Jahre hervorgegangen ist. Und wer stellte den ersten schwarzen  Karnevalsprinzen in Deutschland? Richtig, Richterich mit Balam I.

Muschelmann und Glöckchen-August
Es gibt so viel zu sehen, zu hören und sogar anzufassen: eine Jukebox mit allen relevanten Karnevalshits, Orden, einen Kiosk mit Zeitungen zum Durchblättern, eine echte Bütt als Hörstation (mit einer Original-Büttenrede aus dem 19. Jahrhundert!), eine riesengroße Wagenfigur eines Gardisten der Prinzengarde , ein Wohnzimmer mit Fotoalben, eine Litfasssäule mit Sessionsplakaten. Besonders schön sind die selbstgemachten, aus der Not geborenen Nachkriegskostüme: der Muschelmann und der Glöckchen-August. Wie so oft im Centre Charlemagne, sind in der Präsentation auch wieder Exponate von Bürgern und Bürgerinnen vertreten, die diese beigetragen haben.

Pratschjeck op Fastelovvend – Karneval in Aachen und Umgebung. Copyright: Stadt Aachen / Thomas Langens

Allein in der Stadt Aachen gibt es mehr als 70 Karnevalsvereine
Bereits im Jahr 1338 erstmals urkundlich erwähnt, ist der Öcher Karneval im regionalen Vergleich ein herausragend frühes Beispiel seiner Art. Heute ist Aachen eine der großen Karnevalshochburgen des Rheinlandes und der Euregio, und der Aachener Karneval zählt seit 2014 als Teil des Rheinischen Karnevals gar zum immateriellen Weltkulturerbe. Allein in der Stadt Aachen gibt es mehr als 70 Karnevalsvereine, oftmals mit berufsständischem oder konfessionellem Hintergrund, nachbarschaftlich organisierte Gruppen oder auch Vereinigungen, die einen alternativen Karneval feiern. Im Aachener Grenzland sind mehr als 30.000 Menschen in Karnevalsvereinen organisiert und engagiert.

Ziel der Ausstellung
Angesichts der aktuell zunehmenden und sich verändernden kulturellen Vielfalt sind die individuelle Entwicklung von Identität wie auch die Herausbildung eines kollektiven und interkulturellen Bewusstseins zur großen Herausforderung geworden. Daher bedarf es der verstärkten Sichtbarkeit von Vielseitigkeit sowie Zusammengehörigkeit des gemeinsamen kulturellen Erbes. Diesen Anspruch will die Ausstellung einlösen und Ausgangspunkt kultureller Identifikation und individueller Entwicklung in lokaler und (eu-)regionaler Hinsicht sein.

Nachtrag: Und wem haben es die Öcher Jonge denn nun gezeigt?
Nicht den Franzosen. Ihre Rauflust richtete sich gegen das preußische Militär, das die Franzosen nach dem Wiener Kongress als Besatzer des Rheinlandes abgelöst hatte. Nachdem 1848 in Frankreich die Revolution ausgebrochen war, zogen die preußischen Behörden vorsorglich ihre Truppen an der Westgrenze zusammen. Die Soldaten trafen am 14. April ein und brachten rasch die Bevölkerung gegen sich auf, durch „grobe Unsittlichkeiten gegen das weibliche Geschlecht und Mißhandlungen an Bürgern“ (Althammer, Beate, Herrschaft, Fürsorge, Protest. Bonn 2002, S. 317.) Als Reaktion darauf kam es zu tätlichen Übergriffen auf die preußischen Soldaten, unter anderem durch eine Gruppe Öcher Jonge, die dem Tambour-Major Lange vom 34. Regiment an der Hotmannspief mit Gewalt den Tambour-Stab abnahmen und stolz damit durch die Stadt zogen.

Hurra Tsching Bumm.

Kuratorin
Julia Samp

10. November 2018 – 10. März 2019
Eröffnung: bereits am Donnerstag, 08. November 2018, 16.30 Uhr
mit den Wheels (ab ca. 18.30 Uhr)

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